28.06.1969

Erste Fakultät der Universität: Rechtswissenschaft

Von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt konstituiert sich am 28. Juni 1969 im Schloßkrug in Schloß Holte die erste Fakultät der Universität Bielefeld. Erst zehn Tage später berichtet die Neue Westfälische in einer knappen Meldung, dass der Vorsitzende des Gründungsausschusses Prof. Dr. Mestmäcker mitgeteilt habe, dass sich die rechtswissenschaftliche Fakultät gebildet und Prof. Dr. Jochen A. Frowein zum ersten Dekan gewählt habe. Diese Zurückhaltung geben die Juristen in der Folgezeit auf und machen auch bundesweit auf sich aufmerksam.

Die Vertreter der Fakultät für Rechtswissenschaft am Tag der Aufnahme des Lehrbetriebs am 17.11.1969. V.l.n.r.: Dekan Prof. Dr. Jochen A. Frowein, Prof. Dr. Günther Dickel, Dr. Herbert Fiedler, Prof. Dr. Eckard Rehbinder, Prof. Dr. Volker Emmerich, Prof. Dr. Winfried Brohm und Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde.

Fotograf: Bernhard Preker
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, NEG 1.5_4_5

Bereits in den Gründungsgremien war die Rechtswissenschaft stark vertreten. Neben Prof. Dr. Ernst-Joachim Mestmäcker, der das Fach im Gründungsausschuss – ab 1967 als Vorsitzender – vertrat und im September 1969 zum ersten Rektor der Universität gewählt wurde, saßen mit Ernst-Wolfgang Böckenförde, Günther Jahr, Armin Kaufmann, Werner Maihofer und Dieter Nörr 1966 fünf weitere Juristen im Wissenschaftlichen Beirat, die im Planungsprozess die Fachbereichskommission Rechtswissenschaft bildeten.

Prof. Dr. Eckhard Rehbinder über die Neuausrichtung des rechtswissenschaftlichen Studiums an der Universität Bielefeld. Ausschnitt aus der WDR-Dokumentation „Das Hochschulporträt Bielefeld“, 1969.

Quelle: WDR und cinetv (Universitätsarchiv Bielefeld, FS 31)

Das „Bielefelder Modell“ der einstufigen Juristenausbildung

Die Fachbereichskommission Rechtswissenschaft sah ihren Beitrag im Rahmen der Reformuniversität Bielefeld in der Notwendigkeit einer Reform des juristischen Studiums und nahm dabei die jahrzehntelange Kritik an einer zu theoretischen, praxisfernen, langen und zu einseitig auf das Richteramt angelegten Juristenausbildung auf. Nachdem 1971 die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Erprobung anderer Ausbildungsformen geschaffen worden waren, lieferte die Fakultät in Bielefeld – neben anderen Universitäten der Bundesrepublik – einen eigenen Beitrag zur sogenannten einstufigen Juristenausbildung („Bielefelder Modell“). Im Wintersemester 1973/74 nahm der erste Ausbildungsjahrgang mit 187 Teilnehmern an der Universität Bielefeld das Studium im Rahmen der einstufigen Ausbildung auf. Kennzeichen waren eine enge Verbindung von praktischer und theoretischer Ausbildung, eine Schwerpunktbildung in der Endphase der Ausbildung, eine Verteilung des Prüfungsstoffes auf die gesamte Ausbildungszeit und eine Betreuung der Studierenden in Kleingruppen.

Öffentliche Anhörung von Sachverständigen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung zum Bielefelder Modell der einstufigen Juristenausbildung, die der Justizausschuss des NRW-Landtags am 26. Januar 1984 im ZiF durchgeführt hatte. Ergebnis: Das Modell sei richtungsweisend und habe sich bewährt, die Neuordnung auf Bundesebene, die ein Ende des Bielefelder Modells bedeute, ein Schritt in die falsche Richtung.

Fotograf: Manfred Kettner
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01922

Primär aus politischen Gründen wurde nach dem Regierungswechsel 1982/83 dieses Reformprojekt bundesweit abgebrochen. Ein Gesetzesentwurf, der wesentliche Teile des „Bielefelder Modells“ enthielt, wurde nicht mehr umgesetzt.

Gründung des mit großem Interesse aus Justiz, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik gegründeten Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht am 31. Oktober 1988. Die Vorstandsmitglieder (v.l.) Professor Dr. Wolfgang Oehler, Prof. Dr. Peter Hommelhoff, Prof. Dr. Meinhard Hilf und Prof. Dr. Norbert Horn.

Foto: Universität Bielefeld
Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld.

Sprungbrett Bielefeld

Seitdem bildet die mittlerweile größte Fakultät der Universität zwar wieder auf traditionelle Weise in einer zweistufigen Ausbildung (Studium und Referendariat) Juristinnen und Juristen aus, ist aber weiterhin gegenüber aktuellen Studienreformbestrebungen aufgeschlossen. Bewahrt hat sich die inzwischen internationaler, jünger und weiblicher gewordene Fakultät darüber hinaus eine besondere Wertschätzung der Grundlagenfächer Philosophie, Geschichte und Soziologie.

Die Fakultät bedeutete für einige ihrer Angehörigen auch ein Sprungbrett in höhere Ämter. Maihofer wurde wenige Jahre nach seiner Berufung nach Bielefeld Bundesminister für besondere Aufgaben (1972-1974) und anschließend Bundesinnenminister (1974-1978) in einer sozialliberalen Koalition. Und nicht weniger als fünf Bielefelder oder ehemalige Bielefelder Professorinnen und Professoren bekleideten das Amt eines Bundesverfassungsrichters bzw. einer Bundesverfassungsrichterin.

  • Prof. Dr. Werner Maihofer: 1972-1974 Bundesminister für besondere Aufgaben und 1974-1978 Bundesinnenminister. Prof. Dr. Dieter Grimm: 1987-1999 Bundesverfassungsrichter.

    Fotograf: Stefan Hörttrich
    Quelle: WB (Universitätsarchiv Bielefeld, FOS 01923)
  • Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde: 1983-1996 Bundesverfassungsrichter.

    Foto: Universität Bielefeld
    Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld
  • Prof. Dr. Udo Steiner: 1995-2007 Bundesverfassungsrichter.

    Foto: Universität Bielefeld
    Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld
  • Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier: 1998-2010 Bundesverfassungsrichter, davon 2002-2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

    Foto: Universität Bielefeld
    Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld
  • Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff: 2002-2014 Bundesverfassungsrichterin.

    Foto: Universität Bielefeld
    Quelle: Universitätsarchiv Bielefeld

Spannende Notiz am Rande: Der in Bielefeld geborene Bernhard Schlink startete als wissenschaftlicher Assistent von der Fakultät für Rechtswissenschaft aus nicht nur eine Karriere als Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, sondern auch als Bestsellerautor.